Leseprobe

Leseprobe aus „Frei sprechen lernen“ (Seite 15-18), von Jürgen Heckel
© A1 Verlag, München. Alle Rechte vorbehalten, Nachdruck oder Veröffentlichung in elektronischen Medien, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags

Einleitung

Es ist leichter, über Kommunikation zu reden, als darüber zu schreiben, und kulinarischer, mit hübschen Formulierungen über die eigenen Vorhaben zu reden, als sie tatsächlich auszuführen. Das war meine erste Lernerfahrung. Die zweite folgte sogleich: das Schreiben entpuppte sich als ein Prozeß zunehmender Selbsterkenntnis. Jenes Wissen über mich, das ich zwar weiß, aber gar nicht so genau wissen will, ist dabei gewaltig angewachsen.
Warum noch ein weiteres Buch über Kommunikation? Was unterscheidet dieses Buch von den anderen?
Ein starker Motivationsschub ergab sich aus keimendem Ärger über eine Vielzahl von Büchern, die »Kommunikationstraining aus dem Schnellkochtopf« versprechen. Sie heißen »Kommunikation für Könner – schnell trainiert«, »Nie wieder Redeangst« oder »Wie mache ich aus nörgelnden Untergebenen topfite Mitarbeiter?« All diese Bücher haben gemeinsam, daß sie schnelle Erfolge versprechen. Ich halte diese Versprechen für verantwortungslos. Sie widersprechen meinen Trainer- und Lebenserfahrungen fundamental.
Dieses Buch ist gegen den Zeitgeist geschrieben. Ich verspreche weder, daß dieses Buch »Frösche in Prinzen« verwandelt (so heißt das Grundwerk über Neurolinguistisches Programmieren der NLP-Begründer Bandler und Grinder, in der Originalausgabe »Frogs into princes«), noch huldige ich einer naiven Ideologie des »Glücks für den Tüchtigen«, die so viele Trainerkollegen und -kolleginnen zur Schau stellen. Brüche, Zäsuren und die Unabänderlichkeit des persönlichen Schicksals sind Bestandteile meines Weltbildes. Nicht nur Freude und Erfolg, auch Schmerz, Leid, Konflikt und Tod sind unabweisbare Elemente des Lebens. Sie sind nicht durch Vermeidung oder Verdrängung aus der Welt zu schaffen.
Kommunikative Verhaltensweisen sind stark persönlichkeitsverbunden und tief in der Persönlichkeit verankert. Viele kommunikative Fähigkeiten bzw. Defizite sind die Ergebnisse jahrelanger Einübung. Dabei sind sie zum festen Persönlichkeitsbestandteil geworden, stabilisieren unser seelisches Gleichgewicht und sind nicht beliebig austauschbar.
Wenn Sie sich vorstellen, daß Ihre kommunikativen Defizite – ich spreche ausdrücklich nicht von Problemen – 1 Meter lang sind, so machen die rhetorischen Techniken bestenfalls davon 10 Zentimeter aus. Es geht also in erster Linie nicht um Techniken, sondern um Haltungen. 90 Zentimeter der Kommunikationsprobleme sind genau besehen überhaupt keine. Es läßt sich deshalb nicht vermeiden, daß Sie im Laufe des Kommunikationstrainings an Ihrer Persönlichkeit arbeiten. Es besteht zum Beispiel ein elementarer Zusammenhang zwischen Kommunikation und Selbstwert. Wenn Sie durch Verbesserung Ihrer kommunikativen Fähigkeiten Ihr Selbstwertgefühl verbessern, so ist das auch ein großer Erfolg für Ihr Leben insgesamt.
Ich trainiere Rhetorik und Kommunikation seit über 15 Jahren. Nahezu alle Teilnehmenden erklärten mir, daß sie mit den vorhandenen Rhetorikbüchern wenig anfangen können. Die meisten sind ihnen schlicht unverständlich und zu kompliziert. Mein Ehrgeiz erwachte, und ich möchte ein Buch vorlegen, das für die Praxis tauglich ist. Ich habe ein Stilmittel verwendet, das Ruth Cohn »Erlebendes Schreiben« nennt. Ich versuche, eigenes Erleben in einer lebendigen, gefühlsnahen und bildreichen Sprache mitzuteilen. Einer meiner vielen »Merksprüche« an die Teilnehmer meiner Seminare ist folgender: »Sag es so einfach wie möglich, ohne zu vereinfachen.«
Das wichtigste Antriebsmoment für dieses Buch sind meine positiven Erfahrungen in der Selbsthilfebewegung. In der Selbsthilfebewegung hat sich eine neue Kommunikationskultur entwickelt, die ich für übertragbar auf die Gesellschaft halte. Für mich selbst und für meine Trainertätigkeit habe ich unverzichtbare und wertvolle Erfahrungen sammeln dürfen. Dort habe ich gelernt und erkannt, wie Veränderungsprozesse entstehen und wie sie gefördert werden können.
Was macht diese neue Kommunikationskultur in den Selbsthilfegruppen aus? Es ist die Einheit, das gleichberechtigte Nebeneinander von Gedanken und Gefühlen, von Wissen und Träumen. Standfestigkeit und Offenheit sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ein solches Umfeld eröffnet viele Möglichkeiten, sich selbst zu entdecken. Es ist eine Lern- und Entwicklungsatmosphäre, die Menschen in die Lage versetzt, ein individuelles Leben im offenen Austausch mit Andersdenkenden zu führen. Was sich dort, weitgehend unter Ausschluß von Fachleuten, entwickelt hat, ist für mich überlebensnotwendiges Wissen aus der Anonymität. Gesprächsregeln, neue Kommunikationsformen, die für Menschen in äußerster Not hilfreich sind, sind es sicher für viele andere auch.
Die Erfahrungen, die ich in diesem Buch beschreibe, sind die Erfahrungen meines eigenen Wachstums. Die Rückgewinnung als auch den Neuerwerb kommunikativer Fähigkeiten habe ich der Selbsthilfebewegung zu verdanken. Aus den Gruppenerfahrungen kamen die entscheidenden Impulse zu diesem Buch.
Auch in mir selbst war eines Tages jegliche Kommunikation zusammengebrochen, und daraus resultierend, die Kommunikation mit anderen. Dank der Gruppe habe ich Fortschritte gemacht und kann mich häufiger so artikulieren und mitteilen, wie ich es mir schon immer gewünscht hatte. Diese Erfahrungen mit anderen und mir selbst habe ich versucht in dem Leitfaden »Frei sprechen lernen« umzusetzen.

Ich bin kein Kommunikationswissenschaftler und arbeite nicht über Theorien. Ich berichte über das, was bei mir selbst funktioniert hat, womit ich erfolgreich war. Vielleicht entdecken Sie Ähnlichkeiten und finden so den für Sie wichtigen ersten Lernschritt heraus.
Ich fühle mich keiner Schulrichtung verpflichtet. In dieser Frage halte ich es mit Bert Brecht: »Der Lernende ist mir wichtiger als die Lehre.« Den Streit um Methoden halte ich nicht nur für überflüssig, sondern manchmal sogar für schädlich. Ich bekenne mich zum Eklektizismus und versuche aus verschiedenen Schulrichtungen und theoretischen Systemen das herauszusuchen und zusammenzufügen, was ich für mein Kommunikationstraining gebrauchen kann. Entscheidend ist die Anwendbarkeit in der Praxis.
Ziel dieses Leitfadens ist die Verbesserung unserer Kommunikationsfähigkeiten, die Entwicklung und Entfaltung kommunikativer Kompetenz. Kommunikative Kompetenz ist die Fähigkeit, sich gegenüber vielerlei Empfängern in vielerlei Sprechsituationen verständlich zu machen.
Kommunikative Kompetenz entwickeln ist keine ausschließliche Angelegenheit des Verstandes, mit dessen Hilfe ich clever Kommunikationstechniken einübe, sondern ein Prozeß, in dem die Fähigkeiten des Herzens genauso entscheidend wichtig sind wie die des Kopfes.
Kommunikationsfähigkeit erfordert eine nach außen wie nach innen gerichtete Aufmerksamkeit. Die Voraussetzung dafür ist, die Stimmungen, Temperamente, Motivationen und Wünsche anderer Menschen zu erfassen, zuzuhören und in der Lage zu sein, flexibel und angemessen darauf zu reagieren.
Obwohl kommunikative Kompetenz eine Schlüsselqualifikation ist, überlassen wir unsere kommunikative Bildung weitgehend dem Zufall. Es ist ein Versäumnis, daß unsere Kinder in den Schulen nicht von klein auf in allen Fächern mit der sozialen Fähigkeit Kommunikation vertraut gemacht werden, denn Kommunikation ist eine Qualifikation, die nicht nur in den höheren Etagen, sondern überall im Arbeitsleben abverlangt wird. Der frühe Beginn in der Schule würde einen lebenslangen Vorteil sichern.
Kommunikation ist subjektiv, persönlich, einmalig, unvorhersehbar, unplanbar, und die Kommunikationswissenschaft stößt nur allzu schnell an Grenzen, woran mich immer wieder die Metapher von der Hummel erinnert: Wissenschaftler haben berechnet, daß eine Hummel bei ihrem Gewicht und ihrer Flügelspannweite nicht in der Lage ist zu fliegen. Glücklicherweise hat die Hummel von alledem keine Ahnung und brummt fröhlich durch die Gegend.

Leseprobe aus „Frei sprechen lernen“ (Seite 15-18), von Jürgen Heckel
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