Leseprobe

Leseprobe aus „sich das Leben nehmen“ (Seite 13-21), von Jürgen Heckel
© A1 Verlag, München. Alle Rechte vorbehalten, Nachdruck oder Veröffentlichung in elektronischen Medien, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags

Tiefpunkt

Wie ein Kletterer in einer Felswand hatte ich mich in meinem Leben verstiegen. Ich saß fest, war bewegungsunfähig. Klettere ich weiter nach oben, stürze ich ab, klettere ich zurück, dann falle ich auch. Mit Alkohol konnte ich nicht leben, aber ohne ging es auch nicht. Alle Fluchtwege waren versperrt, der Absturz war nur noch eine Frage der Zeit.
Die scheinbar lebensrettende Wirkung des Fluchtmittels Alkohol bestand darin, dass seine Wirkung über meine wahre Lage hinwegtäuschte, denn der Suchtstoff täuschte eine Balance vor, die nicht existierte. Von dem Zeitpunkt an, wo die Leiden größer waren als der »Gewinn«, verlief mein Leben wie in einem Trichter, verengte sich, war regelgeleitet, von meiner Suchtstruktur bestimmt. Alle Rufe in der Not waren verhallt, es gab kein Entrinnen mehr. So wie ein Korn in einer Mühle geriet ich unaufhaltsam in ein Mahlwerk: durchgerüttelt, zerquetscht, ausgespuckt, freier Fall.
Der Tiefpunkt im Leben eines Süchtigen ist sowohl ein tief greifender Ich-Zusammenbruch als auch ein urplötzlicher Zusammenbruch seines Lebensumfeldes, vergleichbar mit einem totalen Bankrott im Geschäftsleben. Der Lebensfaden ist abgerissen, die Identität zerfallen, der Betroffene in seinem Umfeld zum Aussätzigen geworden. Es ist zwölf Uhr Mittag, »High Noon«.
Dieser Totalschaden bot jedoch – entgegen meinen Befürchtungen – viele positive Überraschungen.
Ein Leben lang habe ich mich vor Veränderungen gefürchtet, wollte immer alles im Griff haben, nie ein Risiko eingehen, immer auf Nummer sicher gehen. Nun hatte sich herausgestellt, dass kein Risiko einzugehen sich als das größte erwies. Das Erstaunliche jedoch war, dass ich gerade dort, wo ich den Abgrund und ein Tal voller Schmerzen vermutete, spürte, dass ich im Leben angekommen war. Zweifelsohne war es ein schmerzhafter Prozess, andererseits aber überwog dabei – zu meinem großen Erstaunen – die Erleichterung. Mich ergriff sogar eine beschwingte Leichtigkeit: Das verlogene Spiel ist aus! Endgültig aus, denn weit und breit war kein Schlupfloch auszumachen, das mir die Rückkehr ins alte Leben eröffnet hätte.
Ich fühlte mich wie ein einsamer Wanderer, der unter Mühen endlich das Meer erreicht und nichts sieht als die unendliche Weite des Wassers und das Blau des Horizonts. Die unerträglichen Spannungen waren wie weggeblasen und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich frei, ein nie gekanntes, ein nie erlebtes, ein wunderbares Gefühl. Dass dieser totale Bankrott zugleich einen erschreckenden Bewusstwerdungsprozess nach sich zog, blieb mir in der Anfangseuphorie noch verschlossen.
Dieser plötzlich, meist unerwartet eintretende Fall wird in der Alkoholforschung als Tiefpunkt bezeichnet. Ich habe Einwände gegen den Begriff Tiefpunkt. Er suggeriert, dass jemand ganz unten sein muss, bevor eine Umkehr möglich ist. Das widerspricht meinen Erfahrungen. Doch weil sich dieser Begriff eingebürgert hat und in Diskussionen nicht auf ihn verzichtet werden kann, bleibe ich bei ihm. Ich fasse den Tiefpunkt als eine schwere Niederlage auf, die gleichzeitig eine reelle Chance für einen Neubeginn in sich trägt. Wird diese Möglichkeit zum Neuanfang erkannt und konsequent genutzt, dann wird der Tiefpunkt zum Ausgangspunkt eines Wachstumsprozesses.
Auslöser ist keineswegs immer eine deutlich sichtbare Katastrophe. Häufig ist es ein emotionales Schlüsselereignis, ein unvorhergesehener Anstoß, der die Chance zu umfassender Veränderung herbeiführt. Manchmal genügt schon ein kleines Zeichen, eine seltsame Begebenheit, ein folgenreicher Filmriss, eine schmerzhafte Trennung, eine ärztliche Diagnose, der Verlust des Arbeitsplatzes. Eine kleiner Anstoß kann in einem komplexen Suchtsystem einen Rieseneffekt hervorrufen.
Ich kenne jemanden, der in seiner Saufzeit zuschlug, wo er nur konnte. Eines Tages erhob er die Hand gegen seine Frau, schlug zu. Von nun an wusste er, dass er so nicht mehr weiterleben wollte. Das war sein Tiefpunkt.
Ein anderes, häufig auftretendes Zeichen, das einen urplötzlichen Wandel herbeiführt: Ein Mann kommt nach Hause, betrunken wie jeden Abend, und will sein kleines Kind überschwänglich in den Arm nehmen. Das Kind sagt: »Papi, du stinkst schon wieder so komisch.« Das Geschehen hat auf einmal Signalwirkung.
Bei mir kam das Signal von meinem Körper. Seine Verweigerung war stärker als mein Drang zum Trinken. Ich hätte weiter getrunken, wenn ich gekonnt hätte. Doch plötzlich war da etwas in mir, geschah etwas mit mir, was ich nicht einordnen konnte. Auch siebzehn Jahre danach kann ich es nicht präzise beschreiben.
Bescherte mir der Tiefpunkt einen Augenblick der Wahrheit? Fiel plötzlich ein Licht in mein Unbewusstes? Waren mir auf einmal Einsichten in das Leben zugänglich und verfügbar, die ich eigentlich schon immer besessen, aber schlicht verdrängt hatte? Reichte ein einziger lichter Moment aus, um zu wissen, dass ich genug gelitten hatte und dass es an der Zeit war, mich zu ändern? Wurde mir in meiner Niederlage für einige Sekunden meine wirkliche Existenz bewusst? War ich unversehens, ohne dass sich irgendetwas dazwischenschob, auf allen Ebenen mit mir selbst in Kontakt? Vielleicht das erste Mal in meinem Leben?
Ich weiß es nicht. Eines jedoch wusste ich sicher: Mir war klar, dass ich mich – jetzt, gleich, nicht erst morgen – zu entscheiden hatte: entweder elend krepieren oder dem Tod von der Schaufel springen und mir die totale Niederlage, nach dem dreißigjährigen Krieg gegen mich selbst eingestehen. Tief in meinem Innersten spürte ich, dass ich lieber sterben würde, als so weiterzuleben wie bisher.
Ich brauchte noch viele, viele Tage, um ganz zu begreifen, dass nun, nach meiner Grenzerfahrung mit meinem Delir, für mich nicht nur die Trinkerei zu Ende war, sondern auch der erste Abschnitt meines Lebens. Ich hatte begriffen: entweder Fortsetzung der Sucht mit tödlichem Ausgang oder ein Neuanfang. Überdeutlich sagte es mir eine Mitpatientin in der Psychiatrie: »Du hast nur eine Chance, lieber Freund, nimm dir das Leben. Entweder nimm dir das Leben, indem du dich zu Tode säufst, oder nimm dir das Leben in all seiner Fülle. Eine andere Möglichkeit hast du nicht.« Ich war verblüfft, sie hatte Recht.
Die Umgebung nimmt den Tiefpunkt bei einem Süchtigen nur sehr selten wahr. Der Tiefpunkt im Leben eines Alkoholikers ist ein Ereignis im Innenleben des Betroffenen. Weder der Betroffene selbst noch sein direktes Umfeld kann erkennen, wie schlecht es um ihn steht. Das Ende kann auch dann schon nahe sein, wenn die Welt nach außen hin noch halbwegs in Ordnung ist. In einer Selbsthilfegruppe berichtete eine Alkoholikerin:
»Ich fühlte mich als etwas Besonderes, als etwas Besseres. Rein äußerlich war noch alles da: Auto, Haus, Mann, Kinder, nur ich war nicht mehr da. Ich lag zwar noch nicht in der Gosse, aber sie war schon in mir. Außer Haus lief ich nur noch mit Sonnenbrille herum. Keiner durfte mir in die Augen schauen, niemand sollte erkennen, da ist nichts mehr drin.«
Es kommt darauf an, möglichst rechtzeitig aus der Suchtstruktur, aus dem Karussell der unbewältigten Konflikte auszusteigen, was nach meinen Beobachtungen Frauen oft früher gelingt als Männern. Die allgemeine Gesundheitsregel, je früher eine Krankheit erkannt wird, desto größer ist der Behandlungserfolg, kann auf die Alkoholkrankheit leider nicht übertragen werden. Solange der scheinbare Nutzen der Droge überwiegt, ist an Umkehr kaum zu denken.
Ich fürchte, es sind meist nur Augenblicke, günstige Gelegenheiten, zeitlich begrenzt, in denen der Mut zum Absprung da ist. Ich bin sicher, dass eine Person mehrmals einen Tiefpunkt durchleben kann, ohne dass eine tiefgreifende Veränderung erfolgt. Auf keinen Fall ist der Tiefpunkt ein Augenblick, in dem Veränderung unvermeidlich ist. Er führt nur einen günstigen Augenblick für Veränderung herbei. Ich bin sicher, dass ich diese Kreuzwegstelle zwei oder drei Mal in meiner dreißigjährigen Trinkerzeit verpasst habe. Es dauerte nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte, bis sich eine neue Chance einstellte. Sehr viel hat nicht gefehlt und ich hätte es mit dem Leben bezahlt.

Musste ich dem Tod erst ganz nahe sein,

bevor ich erkennen konnte, wie wertvoll das Leben ist?

Ich glaube nicht, dass es irgendeine Möglichkeit gibt, den Tiefpunkt bewusst herbeizuführen oder mit Hilfe von Therapeuten aktiv anzustreben.
Aus meinen Erfahrungen habe ich die Gewissheit erlangt, dass die Idee der vorsätzlichen Veränderung bei mir nicht funktioniert. Was auch immer ich mir vorgenommen hatte, meine Suchtstruktur antwortete mit einer Gegenkraft, die mich von der Veränderung abhielt. Solange ich nur meine Symptome bekämpfte, wurde es noch schlimmer.
Liebte ich das Leben nicht genug? Konnte erst die unmittelbare Nähe des Todes Gefühle für das Leben wachrütteln? Schärfte erst diese Grenzerfahrung Geist und Bewusstsein? Wurden in mir seelische Kräfte geweckt, die vorher nicht wirksam werden konnten? Wurden Energien frei gesetzt, die mir bislang nicht verfügbar waren? Hatte ich durch den Tiefpunkt das Innere meiner Identität erreicht? Haben die Freunde in der Selbsthilfegruppe Recht, wenn sie behaupten, dass Veränderungen von selbst stattfinden, wenn man tiefer in sich hineingeht? Wenn ich mich annehmen kann, akzeptiere, was und wie ich bin. Beginnt dann das Wachstum? Woher kam diese plötzliche Bereitschaft, Verantwortung für mein Leben zu übernehmen?
Fragen über Fragen, die ich letztlich nicht beantworten kann.‘ Und noch etwas war neu: Plötzlich konnte ich loslassen, mich fallen las­sen, um Hilfe bitten. Für mich eine extrem tiefe Erfahrung.

Nicht der Tiefpunkt ist gefährlich,

gefährlich ist das Scheitern seiner Bewältigung

»Wo aber Gefahr wächst, wächst das Rettende auch!« Dieser Satz wird gern und oft zitiert. Bei aller Bewunderung Hölderlins, diese Automatik existiert nicht. Auch der Spruch »Wo die Not am größten ist, ist die Rettung am nächsten« ist ein dialektischer Purzelbaum. Ich wiederhole mich bewusst: Ein automatischer Wendepunkt ist der Tiefpunkt nicht, der Tiefpunkt birgt lediglich die Chance für einen Neuanfang. Sonst könnte man ja sagen, ruiniere dein Leben, sauf dich zugrunde, bis du den Tiefpunkt erreichst, und dann schaffst du den Neuanfang. Nicht wenige haben genau das versucht. Wer sich einen Erfahrungsaustausch mit diesen Menschen wünscht, wird vergeblich nach ihnen suchen, denn sie leben nicht mehr.
Es kann passieren, dass wir einen Tiefpunkt unter dem Tiefpunkt erreichen, von dem aus es kein Entrinnen in ein zweites Leben gibt. Ich vermute, es existiert für jeden Menschen eine Grenze der Belastbarkeit, die nicht überschritten werden darf. Aus diesem Grund habe ich ernsthafte Schwierigkeiten mit der weit verbreiteten These, man müsse Alkoholiker erst ganz unten aufschlagen lassen, bevor sie zur »Einsicht« kommen können. Nicht der Tiefpunkt an sich ist gefährlich. Gefährlich ist es, wenn ich aus dem Tiefpunkt so wieder herauskomme, wie ich hineingekommen bin.
Unser dualistisches Denken verführt uns zu dem Irrtum, dass Neinsagen zu einer Sache gleichzusetzen ist mit einem ja für die andere. Das ist eine völlig unrealistische Vorstellung. Die Entscheidung gegen den Tod geht nicht einher mit der Entscheidung für das Leben. Diese Automatik existiert nicht. Ich bin vom Alkohol befreit, wenn ich nicht trinke, aber ich bin deswegen noch lange nicht frei. In der Anfangsphase meiner Trockenheit fühlte ich mich nicht nur frei, ich schwebte. Jahrelang hatte ich keinen Vogel mehr gehört, keine Blume mehr beachtet, keine Gerüche mehr wahrgenommen. Doch schon sehr schnell verflüchtigte sich die Euphorie, die anfänglich empfundene Erleichterung wurde zur Selbstverständlichkeit, die Realität stellte sich ein, das Leben kündigte sich an. Überfallartig sah ich mich pochenden Angstzuständen ausgesetzt, einem bohrenden Gefühl der Unzulänglichkeit, spürte eine entsetzliche Leere in meinem Inneren. Eben noch im Trockenrausch nur so durchs Leben geflogen, fühlte ich mich mit einem Mal wie Ikarus, ein stürzender, entleerter, ausgebrannter Mensch. Und weit und breit war kein folgenloses Betäubungsmittel in Sicht. Ich hatte mich mit der schwierigsten Aufgabe eines Alkoholikers auseinander zu setzen: mich in der Normalität einzurichten und meinen Alkoholismus als Herausforderung des Lebens anzunehmen.
Mehr als nur einmal am Tag litt ich unter dem abrupten Wechsel von Euphorie und Depression. Eben noch himmelhoch jauchzend, plötzlich zu Tode betrübt, niedergeschlagen, egozentrisch, intolerant, reizbar, ungeduldig, perfektionssüchtig, rechthaberisch, stimmungslabil, kurzum: alkoholisch. Trockensein nach dem Tiefpunkt erlebte ich nicht nur als große Chance, als Glücksmoment, sondern gleichzeitig war es auch ein erschreckender Bewusstwerdungsprozess. Nun, wo das zweite, neue, ganz andere Leben begann, sah ich mich den Anforderungen gegenüber, denen ich ein Leben lang ausgewichen bin: Neues zu riskieren, anderes zu wagen, das Leben leben und lieben zu lernen. Doch für diese Aufgabe war ich nicht vorbereitet, Kenntnisse dafür hatte ich keine erworben. Meine einzige Lernerfahrung: mit Alkohol funktioniert es nicht.
Wenn ein Bruch so tief ist wie der bei Alkoholikern, kann eine Biografie auseinander fallen, kann die Kontinuität eines Menschenlebens verloren gehen, vor allem dann, wenn wir verdrängen, was uns beschwert, wenn wir verdrängen, wofür wir uns schämen. Ich schäme mich für vieles, was ich damals getan, anderen angetan, geredet und vor allem zerredet habe, aber ich schäme mich noch sehr viel mehr für das, was ich nicht gesagt, nicht getan, nicht versucht habe. Auch dafür fühle ich mich verantwortlich.
Das Wissen, welche Eigenschaften ich für den Veränderungsprozess benötige, hatte ich von meinen Therapeuten: Zähigkeit, Flexibilität, Geduld und Frustrationstoleranz. Doch woher sollte ich nehmen, was mir ein Leben lang gefehlt hat? Wenn ich mir unsere Ausgangslage vergegenwärtige, frage ich mich, weshalb wir Alkoholiker uns über die vielen Rückfälle wundern. Es schaffen nur so wenige, weil es eine verdammt schwierige Aufgabe ist, einen Neuanfang zu wagen. Dies gilt nicht nur für Suchtkranke, sondern für alle Menschen.
Ich möchte den Tiefpunkt weder dramatisieren noch verklären, sondern gleichermaßen auf Risiken und Chancen hinweisen. Ich bin dankbar dafür, dass ich die Chance, die mein Tiefpunkt enthielt, nutzen konnte und meine Sucht annehmen kann: als eine äußerst heimtückische, ansteckende, tödliche Krankheit, aber auch als große Lebenschance, als tiefe menschliche Grunderfahrung, die es mir erleichtert, ein neues, anderes und besseres Leben zu beginnen. Vielleicht sind es sogar Grenzerfahrungen, die anderen Menschen vorenthalten bleiben. Meine Trockenheit empfinde ich nach siebzehn Jahren immer noch als Geschenk, aber es ist auch harte Arbeit gewesen.
Mein Tiefpunkt ist ein Glückstag in meinem Leben, und um nicht erneut bei dieser Erinnerung zum Höhenflug abzuheben, denke ich an diesem Tag, bei aller Zufriedenheit und Freude, immer auch an diejenigen, die noch trinken, die noch leiden. Ein Tiefpunkt könnte sie aufwecken. Ich wünsche ihnen von Herzen, dass auch sie einen Tiefpunkt als Chance nutzen und über genügend Ressourcen verfügen, um ihr Leben so umzugestalten, dass es ihnen danach deutlich besser gefällt als je zuvor. Das lebendige sinnerfüllte Leben ist die Alternative zur Sucht.
Ich feiere jedes Jahr den 13. Juni 1986, als ob ich an diesem Tag neu geboren wäre. Genau genommen, und wir Alkoholiker müssen genau und pingelig sein, wenn es um unsere Krankheit geht, stimmt das so nicht. Meine zweite Geburt dauert wesentlich länger als die erste, sie dauert noch an. Der Tag, an dem ich das letzte Glas getrunken habe, das einzige Glas in meinem Leben, das mir nicht geschadet hat, ist genau genommen kein Geburtstag. In Wirklichkeit feiere ich ein Abschiedsritual: das Ende des alten Lebens und den Beginn des neuen. Mein Tiefpunkt ist für mich ein Gründungsereignis, ein Tag, an dem es mir gelang, meine Sucht als Durchgangsstadium in ein neues, besseres Leben zu begreifen. Die lebensrettende Tatsache, dass ich aus dem Tiefpunkt nicht wieder so herausgekommen bin, wie ich hineingekommen war, möchte ich für alle Zeiten ankern. Aus einem einfachen Grund hole ich mir diesen Tag immer wieder in Erinnerung: Ich möchte es nicht noch einmal erleben.

© A1 Verlag, München
Alle Rechte vorbehalten, Nachdruck oder Veröffentlichung in elektronischen Medien, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags